Das, was wir hören, spricht das Gefühl stärker an als das, was wir sehen. Letzteres spricht stärker den Verstand an. Und doch gibt es unterschiedliche Qualitäten des Schauens, wie Franz Jalics im obigen Zitat andeutet.
März 2023
Eine ganz wesentliche Übung im meditativen Leben ist: weniger im Kopf sein und dafür stärker und häufiger bei der Wahrnehmung verweilen. Menschliches Verhalten setzt zunächst einmal Wahrnehmung voraus, dann folgt das Denken und schließlich das Handeln. Am Anfang steht immer die Wahrnehmung. Da gibt es die sinnliche Wahrnehmung: Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken. Und es gibt die geistige Wahrnehmung von Form von Bewusstwerden.
Wir modernen Menschen sind fast alle in erster Linie Augenmenschen. Der Musiker Joachim-Ernst Berendt sagte, dass wir unter der Diktatur des Visuellen, des Sichtbaren leben. Das Hören ist ganz unterentwickelt. Musiker sind da eine Ausnahme. Dass wir so vom Sichtbaren eingenommen werden, wird noch durch Fernsehen, Computer und visuelle Reizüberflutung verstärkt.
Jeder Mensch kommt mit einem enormen Kraftreservoir auf die Welt kommt. Ohne diese Energie könnten wir überhaupt nicht überleben. Doch oft hat es den Anschein, dass dieses Kraftreservoir stark abnimmt. Dann ist es nötig, unsere Kraftquellen aufzusuchen.
Immer mehr junge Menschen vergleichen sich mit Instagram-Vorbildern und werden dabei unglücklich, weil ihnen eine Welt vorgegaukelt wird, in denen Menschen nur noch glücklich, positiv gestimmt, schön, schlank und erfolgreich sind. Auf Facebook sehen sie Fotos von den Fernreisen ihrer zahllosen Facebook-Freunde, die ihnen das Gefühl vermitteln, dass andere Menschen ein abenteuerlicheres, genussvolleres Leben als sie selbst führen.
Wir Menschen sind zutiefst soziales Wesen. Wir treten in Beziehung zu anderen, wir können uns in den anderen einfühlen, wir brauchen Gemeinschaft. Ohne sie gehen wir unter. Der Mensch fügt sich in die Gemeinschaft ein, passt sich ihr an. Diese Anpassung kann aber so weit gehen, dass sich der Mensch selber verleugnet, dass er seinen Überzeugungen, seinem Gewissen untreu wird, seine Wahrnehmung ignoriert, weil er mit der Masse mitschwimmen will.
Alles hat seinen Preis, das ist eine bekannte Redensart. Wenn wir in einem Fünf-Sterne-Restaurant essen, müssen wir einen entsprechenden Preis dafür bezahlen. Doch auch in geistigen Dingen gilt diese Regel, sogar auf besondere Weise. Der Schriftsteller Art van Rheyn erweiterte sie, indem er schrieb: „Alles hat seinen Preis, besonders die Dinge, die nichts kosten.“
Paul Brunton, ein englischer Schüler des indischen Mystikers Ramana Maharishi, sagte, um überhaupt irgendetwas auf dem spirituellen Weg zu erreichen, seien drei Voraussetzungen nötig: Glaube, Demut und Sehnsucht. Diese drei sind miteinander verbunden. Im Glauben ist Demut enthalten, denn wir sind nur dann offen für Glauben, wenn wir uns eingestehen, dass wir sehr begrenzte und beschränkte Wesen sind und dass es etwas geben muss, das jenseits unserer Beschränktheit, unserer Erkenntnisfähigkeit liegt. Glaube enthält auch Sehnsucht, nämlich die Sehnsucht nach eben dem, was jenseits unserer Grenzen liegt: die Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen, dessen wir nicht habhaft werden können.
Heutzutage scheinen wir weitgehend den Sinn für das Geheimnisvolle verloren zu haben. Die Naturwissenschaft, sofern sie leugnet, dass es etwas gibt, das der Verstand nicht entdecken und nicht entschlüsseln kann, hat großen Anteil an diesem Phänomen. Die Naturwissenschaften liefern uns tatsächlich viele Erklärungen über Dinge, die wir früher als geheimnisvoll empfanden und für unerklärlich hielten. Doch manchmal sind diese Erklärungen zu oberflächlich und zerstören das Geheimnis. Liebe wird erklärt als ein bestimmter chemischer Prozess im Gehirn, Anziehung zwischen den Geschlechtern wird als ein Spiel der Hormone dargestellt, das Weltall soll durch einen Urknall entstanden sein, hinter dem keine Intelligenz steht. Hier werden Vorgänge rein verstandesmäßig erklärt, sie sind nicht falsch, aber sie sind einseitig, wenn sie am Sichtbaren hängenbleiben. Die Wahrheit liegt tiefer.