„Alles hat seinen Preis, besonders die Dinge, die nichts kosten.“ (Art van Rheyn)
Alles hat seinen Preis, das ist eine bekannte Redensart. Wenn wir in einem Fünf-Sterne-Restaurant essen, müssen wir einen entsprechenden Preis dafür bezahlen. Doch auch in geistigen Dingen gilt diese Regel, sogar auf besondere Weise. Der Schriftsteller Art van Rheyn erweiterte sie, indem er schrieb: „Alles hat seinen Preis, besonders die Dinge, die nichts kosten.“
Wenn wir in einer Partnerschaft leben, erfahren wir (hoffentlich!) Zweisamkeit, Liebe, ein lebendiges Auf und Ab. Der Preis dafür ist: Verzicht auf einen anderen Partner, Rücksichtnahme, sprich: eine gewisse Anpassung und Unfreiheit. Der Preis für jede Bindung und Beziehung ist der Schmerz bei Tod oder Trennung. Wenn wir Kinder haben, erleben wir Freude, Liebe, Lebendigkeit, aber auch Stress, Sorgen und Unfreiheit.
Menschen, die es zu Reichtum gebracht haben, können vieles Außergewöhnliches genießen, aber da ist andererseits auch ein Mehr an Sorgen, an gedanklicher Beschäftigung bis hin zu der großen Gefahr, dass der Besitz einen besitzt. Ein reicher Mensch ist meistens nicht glücklicher als ein Mensch, der sein Auskommen hat; oft sind reiche Menschen sogar unglücklicher. Der Reichtum trägt sogar einen hohen Preis in sich.
Hochkreative und Hochbegabte wie z. B. Künstler oder Erfinder werden oft beneidet. Sie erfahren Genugtuung und vielleicht Glück über die eigenen Leistungen und den gesellschaftlichen Beitrag, den sie leisten, aber der Preis ist Verzicht, intensives Arbeiten und Einsamkeit. Oft hatten sie eine Kindheit voller Traumatisierungen, unter denen sie ihr Leben lang zu leiden haben, auch wenn genau die Traumatisierungen dazu beigetragen haben, dass sie später Außergewöhnliches leisteten.
Diese Beispiele könnte man endlos fortsetzen. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Es ist menschlich, von allen Seiten nur das Gute und Angenehme zu wollen. In materiellen Dingen wissen wir, dass wir etwas bezahlen müssen, wenn wir etwas bekommen, in geistigen Dingen ist das vielen Menschen nicht so klar. Jedoch: „Alles hat seinen Preis, besonders die Dinge, die nichts kosten.“
Heutzutage nimmt die Haltung zu, alles haben zu wollen – und zwar sofort, wie kleine Kinder, die bald nachdem sie gelernt haben die Wörter „Mama“ und „Papa“ auszusprechen, das dritte Wort lernen: „Mehr!“ Viel Gejammer rührt daher, dass wir den Preis für irgendeinen Vorteil, den uns das Leben geboten hat, nicht bezahlen wollen. Wir wollen das Licht, aber nicht den Schatten. Wenn wir uns selber beim Jammern erwischen, dann können wir uns fragen: was ist das Positive, das ich bekommen habe, und für das ich nun bezahlen muss?
Jammern ist etwas Anderes als Klagen. Klagen entlastet, wenn es mit dem Wunsch verbunden ist, etwas zu ändern, sei es die Situation oder die Einstellung dazu.Die Klagende erfährt meist Mitgefühl vom anderen, weil er seinen Kummer redlich mit ihm teilt. Auch der Zuhörer fühlt sich nicht belastet oder als Mülleimer, wenn er spürt, dass er mit dem Zuhören dem anderen Gutes getan hat, ein Stück weit konstruktiv und heilsam wirken konnte.
Jammern jedoch entlastet NICHT.Den Jammernden selbst nicht und der Zuhörende fühlt eine immer unangenehmer werdende Belastung. „Der Jammernde“, so schreibt Maria Ast, „schraubt sich quasiselbst mit jeder Wiederholungsschleife tiefer ins Jammertal.“Der Jammernde will eigentlich nichts an seiner Situation ändern.
Wer jammert, geht sein Problem also nicht nur verkehrt an, weil er sein Jammertal mit dem Gejammer noch tiefer gräbt, sondern er zeigt damit auch, dass er das Lebensgesetz „alles hat seinen Preis“ nicht verstanden hat.
Wenn man klagt, dann zeigt man damit zwar auch, dass man zunächst einmal nicht einverstanden ist mit dem, was passierte, dass man zunächst einmal damit hadert, einen Preis bezahlen zu müssen. Ein schmerzhafter Zustand soll und kann ja auch nicht zugedeckelt werden durch einen Satz wie „alles hat seinen Preis“. Das käme ja zunächst nur aus dem Kopf und würde nur Verdrängung von belastenden Gefühlen bewirken. Klagen ist wie Weinen, wir schütten Gefühle wie Reue oder Trauer aus, deren Auflösung sehr lange dauern kann: Dafür gibt es keine Zeitvorgaben, aber irgendwann kommen wir zu etwas Konstruktivem.
Wenn jemand wirklich trauert, kommt er irgendwann zu einer Haltung der Dankbarkeit dafür, dass man viele Jahre mit dem Menschen verbringen konnte. Man kommt irgendwann also dahin, weniger den Preis der Bindung – den Trennungsschmerz – im Vordergrund zu sehen, sondern mehr das, was man für diesen Preis bekommen hatte: Bindung, Beziehung, Liebe.
Der Preis dafür scheint sehr hoch zu sein, wenn wir auf den Verlust schauen, aber schauen wir auf das, was wir geschenkt bekamen, wird dieser Preis viel geringer.
Oder eine Beziehung bricht durch Scheidung ab und man hatte schon während der Zeit des Zusammenlebens vielleicht gar nicht viel Liebe erfahren, sondern schon sehr viel Schmerz und hinterher, nach der Scheidung, noch mehr Schmerz. Was hat man denn zuvor bekommen, wofür bezahlt man? Man bezahlt für die Beziehung, die ja nicht nur negativ war, und man bezahlt für die Erfahrung, für das Lernen. Wir bezahlen das berühmte Lehrgeld. Lernen und Reifen hat auch seinen Preis. Das Lehrgeld, das wir dafür bezahlen, kann sehr hoch sein.
Nicht immer ist der Preis, den wir im Leben zu bezahlen haben, gleich hoch. Nehmen wir als Beispiel einer Veranstaltung: Da ist die Anfahrt und der Verzicht auf eine andere Beschäftigung. Wenn einem der Kursabend gefällt, ist der (nicht-materielle) Preis dafür nicht hoch gewesen. Gefällt er einem jedoch nicht, war der Preis subjektiv hoch: Langeweile und Zeitverlust.
Wenn wir uns für eine Sache entscheiden, verzichten wir immer auf die andere Alternative. Wir alle kennen Entscheidungsschwierigkeiten. Manche Menschen haben chronische Entscheidungsschwierigkeiten. Was bedeutet das? Wenn wir Entscheidungsschwierigkeiten haben, heißt das, dass wir irgendeinen Preis nicht bezahlen wollen bzw. dass uns der Preis für die Alternative zu hoch ist. Nehmen wir an, jemand möchte seine sichere, aber ungeliebte Arbeitsstelle aufgeben, um sich selbstständig zu machen, fürchtet aber die Unsicherheit und das Risiko. Ein Mensch mit ausgeprägten Entscheidungsschwierigkeiten kann Jahre mit dem Schwanken verbringen. Damit hat er scheinbar beides: einerseits in der Realität die sichere Arbeitsstelle und in der Phantasie die größere Freiheit bei der Selbstständigkeit.
Manchmal wird dann auf einen Menschen herabgeschaut, der in einer schwierigen Situation allein aus Angst vor dem Neuen verharrt. Aber es ist oft leichter, eine schlimme Situation zu ertragen, die wir gewohnt sind, als eine neue, vielleicht bessere Situation, die ungewohnt ist. Hier sollte man mit Ratschlägen oder gar Verurteilungen zurückhaltend sein: Es gibt Menschen, für die die Sicherheit ungeheuer wichtig ist und die den Preis eines wahrscheinlich besseren Lebens voll Risiko nicht bezahlen wollen oder können.
Entscheidungsschwierigkeiten rühren daher, dass wir noch nicht bereit sind, den Preis für die andere Alternative zu bezahlen, an ihr aber doch gedanklich und im Herzen festhalten.
Als ich diesen Vortrag in einem Kurs hielt, fragte am Schluss des Kursabends eine Teilnehmerin: „Aber wenn ich für geistige Dinge auch bezahlen muss, heißt das, dass ich dafür bezahlen muss, dass ich dafür bezahlen muss, dass ich mich an den Vögeln am Futterhäuschen freue oder am Kinderlachen, an den ersten Blumen im Garten?“ Eine wichtige Frage. Ich würde sagen, es hat alles bis ins kleinste Detail seinen Preis. Indem wir leben, erfahren wir Freuden und Leiden. Dadurch, dass es die Schöpfung gibt, gibt es auch Vergänglichkeit, gibt es das Licht und den Schatten. Es ist ja nicht so, dass wir bestraft werden für das Gute, das wir erleben, so wie mir eine Frau erzählte: Sie habe immer Angst vor Strafe, wenn es ihr gut geht, denn als Kind war sie sehr temperamentvoll und hüpfte manchmal vor Freude, woraufhin ihr der ältere Bruder einen Schlag in den Rücken versetzte und sagte: „Du sollst dich nicht so freuen!“
Das Lebensgesetz „Alles hat seinen Preis“ ist keine Bestrafung, sondern es liegt in der Natur der Sache, in der von Polarität gekennzeichneten Schöpfung. Und wie ich vorhin sagte, der Preis ist manchmal ganz niedrig. So kam ein Teilnehmer desselben Kurses, der das Beispiel mit den Vögeln am Futterhäuschen gehört hatte, ein paar Wochen später zu mir – es war gerade Frühlingsbeginn – und sagte: „Es hat sogar seinen Preis, sich an den Vögeln am Futterhäuschen zu freuen: Ich musste jetzt den ganzen Vogelkot in meinem Garten wegmachen.“ Aber er gab auch zu: Der Preis für diese Freude im Winter war doch wirklich sehr klein!
Der Preis dafür, etwas Schönes genossen zu haben, kann auch lediglich bedeuten, dass ich durch eine Entscheidung Zeit für die eine Sache habe und dafür nicht für die andere. Das Verhältnis von Freude und Leid ist ja meistens nicht 50 zu 50.
Eigentlich ist es ganz selbstverständlich, dass alles seinen Preis hat, und doch herrscht in der heutigen Gesellschaft eine Mentalität, die bis in die Spiritualität hineinreicht: diese Neigung, alles zu wollen, oder durch Immer-positiv-Denken-wollen die eigene Realität zu manipulieren versuchen. Gedanken sind zwar tatsächlich Kräfte, und positive Gedanken ziehen eher Positives an und negative Gedanken eher Negatives. Es geht hier jedoch um das Extrem, nämlich zu glauben, dass wir immer positiv denken sollen, wie manche Lebenshilfe-Bücher uns weismachen wollen. Dieser Wunsch, alles soll schön, gut und rein sein, verbunden mit dem Glauben, wir selber könnten das aus eigener Kraft schaffen, bewirkt, dass dann irgendetwas ins Leben tritt, das uns lehren wird, dass wir vieles überhaupt nicht in der Hand haben und dass wir das Leben nicht manipulieren können.
So können wir bei uns selber schauen, wenn wir jammern, oder wenn wir uns nicht entscheiden können, oder wenn wir unzufrieden sind: Welchen Preis möchte ich nicht bezahlen? Diese Frage kann uns eine Lebenshilfe sein. Die Antwort kann sein, dass wir den Preis tatsächlich nicht bezahlen sollten, weil er zu hoch ist. Ist das klargeworden, fällt es uns leichter, das Hin- und Her der Überlegung „soll ich oder soll ich nicht?“ sein zu lassen.
Der Grund, dass wir uns nicht entscheiden können, liegt möglicherweise auch darin, dass wir von der Alternative, die wir ins Auge fassen, wissen, dass sie auch ihre Schattenseiten hat. Es kann sogar sein, dass wir den Schatten, den unsere jetzige Situation enthält, nicht wollen, aber auch nicht den Schatten einer neuen Sache – weil wir vielleicht gar keinen Schatten in unserem Leben haben wollen.
Die Schriftstellerin Nina Nell, schreibt über das Schattenproblem vieler spiritueller Menschen Folgendes: „Nur zu gern wollen wir unsere Aufmerksamkeit nur noch auf das Gute lenken, auf das Licht, die Schönheit, das Glück und die Freude. Und nur zu gern wollen wir das vermeintliche Gegenteil ignorieren – das Leid, den Schmerz und die Dunkelheit dieser Welt. Im Bereich Esoterik und Spiritualität finden wir viele … Menschen, die von Licht und Liebe sprechen. Und ein jeder, der sich mit diesen Themen auseinandersetzt, neigt dazu, es ihnen gleichzutun, sich auf Licht und Liebe zu konzentrieren und das „Gegenteil“ zu verdrängen. Denn die meisten, die anfangen, sich für Esoterik und Spiritualität zu interessieren, haben in ihrem Leben schon genug Leid erfahren und suchen nun einen Ausweg. Jedoch führt Verdrängen und Nicht-haben-willen leider nicht heraus aus dem Leid. … Das Leid bleibt, der Schmerz bleibt und die Dunkelheit verfolgt uns wie ein Schatten. Das Weg-haben-wollen oder gar Bekämpfen funktioniert nicht. Wenn wir das Licht gegen die Dunkelheit einsetzen, um sie auszulöschen, scheitern wir. Denn solange wir gegen etwas kämpfen, brauchen wir einen Gegner. Und der Gegner wird so lange bleiben, bis der Kampf endet…“
Auf dieser Welt herrscht das Gesetz der Polarität. Wir können das Licht nur zusammen mit dem Schatten haben. Jesus kannte das Polaritätsgesetz und sagte deshalb, dass wir auf dem Weizenfeld nicht die Spreu mit ausreißen sollen, denn sonst reißen wir mit der Spreu auch den Weizen aus. Man kann nicht nur den Weizen haben, auch die Spreu gehört dazu. Es kann nicht alles lichtvoll sein, auch das Dunkle gehört zum Leben. Das wissen wir alle ja auch – im Kopf. Doch weiß es auch das Herz? Kunstwerke lehren uns, dass die Farben stärker leuchten, wenn sie neben Schwarz gesetzt werden.
Dadurch, dass die Gegensätze in uns sind, können wir uns verändern und dadurch sind wir Menschen uns ähnlicher als wir glauben. Und auch aus diesem Grund sind wir alle miteinander verbunden. Wir sind außerdem dadurch miteinander verbunden, dass wir den gleichen Lebensgesetzen unterliegen, was auch das Lebensgesetz einschließt, das da lautet: Alles hat seinen Preis.
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„Macht euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes!“ (Römer, 12,2)